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Lea Raith: Quasi historia. Kölner Stadtgeschichte in der Hagiographie des 10.-12. Jahrhunderts

Köln, Ältestes Stadtsiegel (Ornamenta ecclesiae 2, S. 60, Abb. D58)

SANCTA COLONIA DEI GRATIA ROMANAE ECCLESIAE FIDELIS FILIA (Heiliges Köln, durch Gottes Gnade der römischen Kirche getreue Tochter). So lautet die Umschrift des ältesten erhaltenen Kölner Stadtsiegels (12. Jahrhundert, 1. Hälfte, siehe Abb.). Im 12. Jahrhundert hatte sich die Vorstellung vom ‚Heiligen Köln‘ verfestigt und prägte nicht nur die städtische Selbstdarstellung, sondern auch die Außenwahrnehmung.

Die Idee der Sancta Colonia ist aber schon deutlich älter. Die ersten Belege dafür lassen sich bereits im 9. Jahrhundert finden. Spätestens seit dem 10. Jahrhundert sind zudem Bemühungen fassbar, die vermeintlich durch den Wikingerüberfall 881/82 entstandene Lücke im städtischen Gedächtnis zu füllen, und darüber hinaus über die Anbindung an eine vermeintlich glorreiche Vergangenheit das Ansehen der Stadt zu steigern. Wichtigste Grundlage bei der Verherrlichung Kölns waren von Beginn an die städtischen Heiligen. Dazu gehörten nicht nur überregional bekannte Heilige, deren Reliquien sich in Köln befanden, sondern besonders diejenigen Heiligen, bei denen sich ein besonderer Bezug zur Stadt herstellen ließ. In den einzelnen Viten werden also Konstruktionen der städtischen Vergangenheit sichtbar. Ziel der Arbeit ist es nicht, die Historizität dieser hagiografischen Quellen zu überprüfen, sondern vielmehr die jeweilige Vita als mentalitätshistorische Quelle ihres Entstehungszeitraums zu verstehen und in übergreifende Diskurse und Prozesse einzuordnen

Die Gattung der Heiligenviten ist dabei hochgradig von Wiederholungen geprägt. Da der oder die fragliche(n) Heilige(n) und die dazugehörige Legende oft hier erst konstruiert wurden, griff man auf erprobte Narrative und gattungsspezifische Topoi zurück. Das Projekt will diesen nachspüren und untersuchen, wie sich zwischen literarischen Konventionen und Innovationen jene spezifischen Narrative entwickelten, die mit mal mehr, mal weniger Veränderungen zum Grundgerüst des Kölnischen Selbstverständnisses werden sollten.