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Konventionalität als neuer Schlüsselbegriff

Das Graduiertenkolleg will den Begriff der Konventionalität als einen neuen Schlüsselbegriff für eine interdisziplinäre Mittelalterforschung fruchtbar machen. Konventionalität bezeichnet kollektive Geltungsansprüche des Sprechens, Denkens, Handelns und Darstellens, über die Gesellschaften, Gemeinschaften oder Gruppen durch Übereinkunft oder Habitualisierung Orientierungen in der Zeit ausbilden. Es handelt sich auf allen Feldern sozialer Kommunikation um Einstellungen mittlerer oder längerer Dauer, über die Kontingenz bewältigt und relative Stabilität garantiert wird. Vom modernen Fortschrittsparadigma einerseits und künstlerischen Originalitätspathos andererseits setzen sich Dynamiken der Konventionalität insofern ab, als Bewahrung und Wandel als eng verzahnt aufgefasst werden. Von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit hinein wird der Stellenwert der Konventionen in zahlreichen Feldern verhandelt und nimmt damit auf ganz unterschiedlichen Ebenen einen Diskurscharakter von hoher Konstanz an: in Religion, Politik und Recht, in Didaktik, Philosophie, Handwerk und Kunst. Entsprechend ist das Graduiertenkolleg interdisziplinär ausgerichtet und bietet die Gelegenheit, disziplinäre Forschung in übergeordneten Kontexten zu reflektieren.

Bis in die Frühe Neuzeit hinein rangiert Konventionalität privilegiert unter dem Begriff der Gewohnheit (consuetudo), deren Geltungsansprüche verschiedene Felder übergreifen: Gewohnheitsrecht, Klosterregeln (consuetudines), Normierung der Arbeitsprozesse (Zünfte), Erziehungslehren (consuetudo altera natura), „Spielregeln der Politik“, Stilkonventionen in Architektur und bildender Kunst, nicht zuletzt rhetorische (Common Sense) und künstlerische Techniken (Wiedererzählen, Komposition). Gegenüber jeweils aktuellen Herausforderungen wie etwa Innovationsschüben und Kontingenzeinbrüchen setzt Gewohnheit auf Verfahren der Typisierung des Sprechens, Denkens, Handelns und Darstellens, auf stabilisierende Wiederholung, die Orientierung stiftet. Zur differenzierten Beschreibung möglicher Felder von Konventionalität bedarf es systematischer Gegenbegriffe: In Spannung treten Konventionen häufig zu den Ansprüchen der Wissenschaft, der Kunst und der Institution. Innerhalb dieser drei Spannungsfelder kann ein breites Spektrum von sozialen, technischen, theoretischen und ästhetischen Konventionen abgebildet werden.

Potentielle Dissertationsthemen sollen im Zeitraum von 400 bis 1550 situiert sein und Prozesse der Transformation in den Blick nehmen, in denen Beharrung und Wandel ineinandergreifen. Themenvorschläge der Bewerber*innen, die sich in diesen konzeptuellen Rahmen einordnen lassen, sind willkommen.