Vestimentäre Codierung und ihre Entwicklung in Frauenportraits mittelalterlicher Stundenbücher
Von Frauen in Auftrag gegebene und für Frauen gestaltete Stundenbücher aus den nordalpinen Gebieten bildeten einen signifikanten Teil der religiösen Praxis im Spätmittelalter und der Renaissance. Als künstlerisch illustrierte Objekte waren Stundenbücher private, religiöse Gebrauchsgegenstände von Laien und enthielten oftmals persönliche Bezüge zu ihren Eigentümerinnen. Diese persönlichen Bezüge zeigen sich beispielsweise in personalisierten Gebeten oder in Portrait-ähnlichen Darstellungen, in denen die Abgebildeten im Gebet versunken sind. In diesen Illustrationen wird eine private Idealvorstellung des religiösen Selbst durch Position im Bildraum, Gestik, Mimik und Kleidung transportiert. Kleidung kommuniziert in dieser Zeit ihren zeichenhaften Charakter, dessen Konnotation sich von der außerbildlichen, ‚realen‘ Welt in die innerbildliche überträgt. Daraus kann, im Fall eines einzelnen Stundenbuchs erschlossen werden, wie sich die dargestellte Frau im Kontext der im Buch präsentierten Weltanschauung selbst verortet.
An der vestimentären Untersuchung der Taymouth Hours (BL, Yates Thompson MS 13) und der Neville of Hornby Hours (BL, Egerton MS 2781) zeigt sich, dass die dargestellten Frauen, angezeigt durch ihre Kleidung, verschiedene Stadien des Frauseins durchlaufen. Während Eleanor of Woodstock (Taymouth Hours) in ihrer Kleidung eine hoffnungsvolle Vision ihrer Selbst inszeniert, die mit dem potenziellen Einzug ins Paradis endet, zeigt Isabel de Byron (Hornby Hours) ihr Leben aus der Retrospektive und möchte so als Vorbild für zukünftige Generationen dienen. In ihren Darstellungen wird mit dem Prozess des Be- und Entkleidens gespielt, um dem darum angezeigten Text oder der Miniatur (private) Signifikanz zu verleihen.
Das Ziel der Dissertation ist darauf aufbauend, Frauen in ihren Stundenbüchern auf ihre vestimentäre Codierung hin zu untersuchen, besonders berücksichtig werden hierbei Bücher aus dem 14. Jahrhundert, die im heutigen Vereinten Königreich und Frankreich entstanden sind. Die Diversität und umfassende Zeitspanne der Ausgangsmaterialien soll es ermöglichen, Konventionen, Abweichungen und Veränderungen weiblicher, vestimentärer (Selbst-)Wahrnehmung und (Selbst-)Darstellung in religiöser Praktik zu dem genannten Zeitraum sichtbar zu machen, um so zur Forschung rund um weibliche Identitätsbildung im Spätmittelalter beizutragen.