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Hannes Fahrnbauer: Handlungen mit Handschuhen. Objekte, Texte und Bilder in Ordnungsentwürfen der mittelalterlichen Kirche (11.–13. Jh.)

Esslingen a. N., Stadtkirche St. Dionys, Stainhövel-Fenster: Hl. Dionysius, um 1300 (CVMA Band I, 1; Abb. 8).

Das Promotionsprojekt beschäftigt sich mit der vernachlässigten Gattung der mittelalterlichen Handschuhe. Im Mittelpunkt stehen die äbtlichen und bischöflichen Handschuhe bis Anfang des 14. Jahrhunderts. Sie werden in einem praktischen (am Gegenstand) und einem theoretischen (über den Gegenstand hinausführenden) Teil behandelt. Exemplarisch sollen am Handschuhgebrauch Amtsbewusstsein (ordo) und Repräsentation der geistlichen Elite untersucht werden.
Es handelt sich um leinene oder seidene Fingerhandschuhe in Maschenwerk mit einem textilen oder metallenen Medaillon auf dem Handschuhrücken. Häufig zeigen die Circuli die Dextera Dei und das Agnus Dei und nehmen somit motivisch auf ihre Verwendung im Pontifikalamt Bezug.
Das Projekt befasst sich sowohl mit den Realien als auch ihrer Darstellung in den zeitgenössischen Schrift- und Bildzeugnissen. Als kulturwissenschaftlich ausgerichteten Kunsthistoriker interessieren mich die liturgischen, rechtlichen und sozialen Funktionen des auszeichnenden Kleidungsstücks und seine Einbindung in einen Heiligenkult. Spannend ist die Frage, ob die Handschuhe mit der Dextera Dei als eine Verlängerung der bischöflichen Hand wahrgenommen wurden.
Im Rahmen des Graduiertenkollegs 2212 „Dynamiken der Konventionalität (400-1550)“ untersucht die Arbeit die rituelle Nutzung der Handschuhe vor allem als einen Paradefall für die Genese einer neuen objektbezogenen Konvention im Mittelalter. Ihr Fokus liegt auf der Frage, inwieweit sich mit einem ‚richtigen‘ Insigniengebrauch die Vorstellung einer funktionierenden gesellschaftlichen Ordnung verbindet. Dahinter verbirgt sich die idealische Einheit aus geistlichem Rang, Würde- und Standeszeichen sowie moralischem Anspruch.
Die hochmittelalterliche Hierarchie der Ordinations- und Jurisdiktionsgewalt drückt sich sinnfällig im konventionellen Zeichengebrauch der Amtsträger in unterschiedlichen Interaktions- und Kommunikationssituationen aus. Die Tragweite, die eine Veränderung am Symbolhaushalt herbeiführen kann, zeigt sich, wenn das standesgemäße Recht an den Bischofsinsignien durch (vorgegebenes) Gewohnheitsrecht oder päpstliches Sonderrecht missachtet wird. So beschreibt Bischof Marbod von Rennes (gest. 1123) einen Abt mit Pontifikalinsignien, darunter Handschuhen, als eine Pervertierung der göttlichen Ordnung: als monströses Mischwesen oder Esel im Löwenfell.
Das dynamische Verhältnis zwischen kirchlicher Institutionengeschichte, Ekklesiologie, Zeichentheorie und mittelalterlichen Objektkonzeptionen wird an diesen textilen Objekten deutlich und historisch fassbar.

Kontakt: h.fahrnbauer[at]uni-koeln.de

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