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Holzschnitt einer Straßburger Prozession während der Burgunderkriege, in: Konrad Pfettisheim, Geschichte Peter Hagenbachs (Reimchronik der Burgunderkriege), [Strassburg: Heinrich Knoblochtzer], 1477 (GW M17616), fol. 9b. Digitalisat: SBBPK 4° Inc 2208, PURL: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001975B00000000.

Kai Hnida: Gender in städtischen Ritualen. Das Beispiel der Stadt Straßburg im 15. Jahrhundert (Arbeitstitel)

Spätestens seit Richard Trexlers (1980) und Edward Muirs (1981) Studien zu Florenz und Venedig erfahren Rituale in der Forschung über spätmittelalterliche Städte eine große Aufmerksamkeit. Schon bei Trexler und Muir, aber auch in den auf ihnen folgenden Untersuchungen, wurde deutlich, dass die Analysekategorien gender und Raum großen Einfluss auf die performativen Handlungen in einer Stadt nahmen. Dennoch existieren kaum Arbeiten, die das Verhältnis dieser beiden Kategorien in den Vordergrund der Untersuchung stellen.

Das Dissertationsvorhaben nimmt sich diesem Forschungsdesiderat anhand des Fallbeispiels der Stadt Straßburg im 15. Jahrhundert an und widmet sich zum einen der Frage, wie Räume in der Stadt durch bestimmte Geschlechterverhältnisse in Ritualen konstituiert wurden und fragt zugleich nach den genderspezifischen Konnotationen der für Rituale genutzten Räume. Raum wird dabei in Anlehnung an die Raumsoziologie von Martina Löw (2001) als relationale Anordnung von Menschen und sozialen Gütern an einem Ort angesehen. Ein Raum wird nach Löw einerseits durch den Prozess des Anordnens (spacing), andererseits durch die Vorstellungs-, Wahrnehmungs- und Erinnerungsprozesse der Menschen am Ort (Syntheseleistung) konstituiert.

Prozessionen sind ein geeignetes Untersuchungsfeld zur Beantwortung dieser Fragen, da in ihnen eine idealisierte Sozialstruktur der städtischen Sakralgemeinschaft deutlich wird. Der städtische Raum Straßburgs – insbesondere bedeutsame kirchliche und weltliche Bauten und Institutionen wie das Münster, Stiftskirchen, wichtige Handelsstraßen und Brücken – wurde während einer Prozession genutzt, um Vorstellungen über Geschlechterverhältnisse in der Stadt performativ zu inszenieren. Oftmals war eine strikte Geschlechtertrennung elementarer Bestandteil einer spätmittelalterlichen Prozession. Es soll gezeigt werden, dass diese Geschlechtersegregation aufgrund unterschiedlicher Funktionen im Ablauf der Prozession vorgenommen wurde.

Ein zweiter Teil der Arbeit diskutiert den Zusammenhang von Ritual, gender und Raum an Straforten. Ausgehend von dem raumsoziologischen Konzept lassen sich dabei zwei erkenntnistheoretische Stoßrichtungen fruchtbar machen, indem zum einen der Prozess des Platzierens von Objekten sowie zu bestrafender und zuschauender Menschen an ausgewählten Orten erörtert wird. Zum anderen soll nach den rituellen Aspekten und insbesondere nach den Vorstellungs-, Wahrnehmungs- und Erinnerungsprozessen der Teilnehmer:innen in Bezug auf die Analysekategorie gender gefragt werden. Strafen sollten sowohl eine Warnung an potentielle Straftäter:innen als auch ein Sicherheitsversprechen der weltlichen Autoritäten sein. Daher wurde die Wahl des Orts und die Gestaltung der Rituale so getroffen, dass dies auf möglichst effiziente Weise an die Besucher:innen und Einwohner:innen der Stadt symbolisch kommuniziert werden konnte.

Besonders dank der im Stadtarchiv (Archives de la Ville et de l'Eurométropole de Strasbourg) überlieferten Ratsmandate lässt sich der Ablauf der Prozessionen und Strafrituale Straßburgs nachvollziehen. Weitere Überlieferungen finden sich in den Chroniken zur Straßburger Stadtgeschichte (bspw. von Fritsche Closener oder Jakob Twinger von Königshofen) und den Aufzeichnungen zeitgenössischer Persönlichkeiten (hier sind die Predigten des Münsterpredigers Johann Geiler von Kaysersberg zu erwähnen).