Tristan Spillmann: Von intellektuellen Kriegen und Gelehrtengerichten. Zur Konventionalität der humanistischen imitatio im Streit zwischen Lorenzo Valla und Poggio Bracciolini
Der italienische Humanist Lorenzo Valla (1406–1457) gilt in der Forschung als eine der schillerndsten Figuren des Quattrocentos. Als unkonventioneller Denker, der bewusst ideologische Grenzen überschritt, löste er etliche Kontroversen aus und machte sich im Laufe seines Lebens eine Vielzahl an mächtigen Feinden. Gegenstimmen schienen ihn jedoch vielmehr anzuspornen über das Sag- und Denkbare des 15. Jahrhunderts hinauszugehen. In bissigen Schmähschriften stellte er die fachliche Integrität seiner Konkurrenz in Abrede und profilierte sich mit bemerkenswerten Beiträgen zu den maßgeblichen humanistischen Forschungsthemen seiner Zeit. Seine Zurückweisung autoritativer Lehrmeinungen kam einer Kriegserklärung an die intellektuelle Gemeinschaft gleich, dessen sich der Freidenker auch durchaus bewusst war.
Valla forderte nicht weniger als eine umfassende „Umpflügung“ (repastinatio) des gesamten abendländischen Denkgebäudes und stilisierte sich als „zweiter Camillus“, der das geistige Erbe Roms wiederherstelle und die Irrtümer der letzten sechshundert Jahre im Alleingang korrigiere.
Auf diesen provokativ artikulierten Anspruch reagierte im Jahr 1452 schließlich der langjährige apostolische Sekretär und prominente Gelehrte Poggio Bracciolini (1380–1459) mit einer Reihe an Streitschriften. Er stellte sowohl das Werk als auch das Leben Vallas zur Disposition und zwang diesen zu einer umfassenden Verteidigung seines Wirkens. Der Konflikt löste schließlich eine grundlegende Debatte über Prinzipien und Konventionen der humanistischen Bewegung aus, an der noch weitere Gelehrte partizipierten und öffentlich Partei ergriffen.
Die Auseinandersetzung bietet eine ideale Möglichkeit, die Funktionalität des humanistischen Feldes (Feldtheorie nach P. Bourdieu) in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Dabei stehen die bislang noch nicht systematisch untersuchten Streitschriften (invectivae) der beiden Protagonisten im Vordergrund. In meiner Dissertation möchte ich anhand dieser Texte die grundlegenden Mechanismen der feldspezifischen Diskurse (Autorisierungs- und De-Autorisierungsprozesse, intellektuelle Bündnisschließungen, Selbstinszenierungspraktiken u.a.), die das soziale Feld als solches fundieren und zusammenhalten, sichtbar machen und mithilfe des Konventionalitätsbegriffes ein neues Licht auf den Humanismus werfen.