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Tina Druckenmüller: Der Ursprung der Seele in der Zeit der Frühscholastik

Gott haucht Adam eine Seele ein. Paris, BNF, Ms. Lat. 11535, fol. 6v. Digitalisat der Bibliothèque nationale de France

Als der berühmte mittelalterliche Gelehrte Anselm von Canterbury als alter Mann im Sterben lag, da – so berichtet es Anselms Vertrauter und Biograph Eadmer von Canterbury – flehte er zu Gott, dass er ihn noch eine Weile am Leben lassen möge. Anselm wolle unbedingt noch eine Schrift über den Ursprung der Seele verfassen und es sei wichtig, dass er selbst das tue, denn außer ihm sei wohl kein anderer dazu in der Lage, dieses Thema angemessen zu verhandeln. Diese bescheidenen Worte wurden nicht erhört – Anselm starb wenig später kurz vor Ostersonntag im Jahre 1109 in Canterbury.

Anselm selbst hinterlässt keinerlei Hinweise oder gar Notizen, was in seinem Werk de origine animae gestanden haben würde. Zu vermuten steht allerdings, dass er an eine Frage anzuknüpfen plante, die Augustinus einst offenließ: In gleich mehreren seiner vielen Werke stellte sich der Kirchenvater die Frage, ob die Seele weitervererbt wird (Traduzianismus/ Generatianismus), ob Gott alle Seelen am Anbeginn der Zeit geschaffen habe und sie dann zum passenden Zeitpunkt in die Säuglinge herabsteigen (Präexistenzlehre), oder ob Gott jede Seele individuell erschaffe und eingieße (Kreatianismus). Augustinus äußerte zwar eine klare Präferenz für die kreatianistische Antwort, zögerte jedoch eine klare Position zu beziehen, weil die kreatianistische Lehre nicht erklären konnte, wieso ein neugeborenes Kind bereits mit der Erbsünde belastet sei. Wenn Gott jede Seele neu erschafft und das Kind dennoch mit der Sünde behaftet ist - noch bevor es die Möglichkeit hatte selbst zu sündigen -, dann liegt der Verdacht nahe, dass Gott absichtlich und böswillig die Seelen sündhaft erschaffe.

Während man sich im Frühmittelalter vielfach damit begnügte, die Frage nach dem Ursprung der Seele als „schwierige Frage voller Dunkelheit“ zu bezeichnen und auf eine Stellungnahme lieber verzichtete, sind sich die Autoren der Scholastik durchgehend einig, dass die Lehre von der Neuschöpfung der Seelen durch Gott die einzig richtige, diejenige von der Vererbung der Seele dagegen häretisch sei.

Doch was war dazwischen in der Zeit der Vor- und Frühscholastiker? Anselms erklärter Wunsch, dem Ursprung der Seele gleich ein ganzes Werk zu widmen, lässt schon vermuten, dass man sich zu Beginn des 12. Jahrhunderts auf einmal zutraute auf diese „Frage voller Dunkelheit“ Antworten zu geben. Ob aus den folgenden Generationen nach Anselm wirklich niemand in der Lage war dieses Thema so gut zu verhandeln wie Anselm selbst, sei einmal dahingestellt. Versucht haben es einige, so z.B. Anselms Schüler Gilbert Crispin und Odo von Cambrai. Aber auch die Gelehrten an den großen Schulen, wie z.B. Hugo von St. Viktor und Anselm von Laon, widmeten sich dem Thema. Diverse weitere Autoren des 12. Jh. griffen die Frage nach dem Ursprung der Seele zumindest kurz auf. Diesem Diskurs im 12. Jahrhundert, der bisher nur in einigen wenigen Studien zu einzelnen Autoren, nicht aber systematisch erfasst ist, wird sich meine Dissertation widmen.

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