zum Inhalt springen

Handschrift und Hülle. Gebrauchs- und Bedeutungswandel als Überlieferungsfaktoren mittelalterlicher Buchkästen

Osnabrück, Domschatzkammer, DS-450 20 x 27 x 7 cm Eichenholz; Eisenscharniere; Elfenbein, beschnitzt (11./12. Jh.); Seidengewebe (11. Jh.); Silberblech, vergoldet; Foto: Nils Hausmann

Handelt es sich bei Prachteinbänden um einen gut bearbeiteten Gegenstandsbereich der Kunstgeschichte des Mittelalters, so liegt für die verwandte Gattung der Buchkästen bislang keine umfassende Darstellung vor. Beide Objektgattungen sind anhand der Verbindung mit der umschlossenen Handschrift voneinander zu unterscheiden: Ein Einband ist fest mit ihr verbunden, in einen Buchkasten kann diese hingegen, wie in eine Kassette, eingelegt und aus diesem entnommen werden.

Trotz der gleichen Funktion sind Einbände sowohl schriftlich als auch materiell deutlich häufiger überliefert als Buchkästen. Nach jetzigem Arbeitsstand kann für nur elf erhaltene mittelalterliche Objekte eine Verwendung als Buchkasten als gesichert gelten. Nach Ausweis früh- und hochmittelalterlicher Schatzverzeichnisse dienten Buchkästen zumeist der Aufbewahrung von Evangelienbüchern. Die vom Einband sich unterscheidende Handhabung des Buchkastens bestimmte also maßgeblich die Wahrnehmung des symbolisch hoch bedeutsamen Evangeliars während der Messfeier und während weiterer ritueller Handlungen wie Prozessionen, Herrscherempfängen oder der Bischofsweihe. Hieraus ergibt sich, dass die Objekte nicht losgelöst von der Perspektive der Menschen betrachtet werden können, die sie gebrauchten und mit ihnen umgingen. Wie beeinflussten sich Wahrnehmung, Gebrauch und Bedeutung gegenseitig? Welche Umgangsweisen legte ein Buchkasten im Unterschied zu einem Prachteinband nahe? Können diese Unterschiede einen Grund für die Bevorzugung von Einbänden dargestellt haben? Weshalb blieben die genannten Buchkästen dennoch erhalten?

Zur Beantwortung dieser Fragen werden einerseits liturgische Verlaufsordnungen wie Krönungs- und Weiheordines, andererseits die erhaltenen Objekte selbst untersucht. Dieser Arbeitsschritt bildet die Grundlage für eine Zusammenschau von Schriftquellen und den überlieferten Objekten: Wie passt die sich voneinander unterscheidende Handhabung von Buchkästen und Einbänden zu den geschilderten Gebrauchsweisen? Wie wirkte sie sich auf Bedeutung und Wahrnehmung der Objekte aus? Wurden die Objekte durch Umarbeitungen ihrer gewandelten Bedeutung angepasst? Diese Fragen führen zu einer Bewertung der unterschiedlichen Überlieferungschancen von Einbänden und Buchkästen, zweier zentraler Gattungen der früh- und hochmittelalterlichen Schatzkunst.