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Irina Dudar: Krönen – Mehren – Weitergeben. Individualisierungspraktiken und Erinnerungssicherung auf spätmittelalterlichen Schützenketten (1450–1550)

Schützenkette der St. Georgsgilde (heute St. Georg Schützenbruderschaft), Kleve, um 1475 Foto: Irina Dudar

Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts begannen Schützen, die vorher als Söldner im Heerwesen tätig waren, sich in sozialen Gruppen zu organisieren, die ähnlich wie Zünfte und Gilden korporativ gegründet wurden. Spätestens seit Anfang des 15. Jahrhunderts gliederten sich ihnen Bruderschaften an, die mit religiösen Aufgaben betraut wurden, wie etwa der Totenmemoria, Prozessionen zu Ehren des Patrons (meist Sebastian oder Georg) und dem Beistand der Mitglieder in Not.

Eine exklusive Zugehörigkeit zur Schützengesellschaft war den Mitgliedern besonders wichtig und konnte durch diverse Medien repräsentiert werden: Durch Kleiderordnung, ein Gildenhaus, eine eigene Kapelle oder eine Vikarie. Ihre wichtigste Insignie ist seit dem Spätmittelalter die Schützenkette. Während Ordensketten in den Statuten und Ordensprotokollen der ritterlichen Orden wiederholt schriftlich niedergelegt wurden und die Nutzung reglementiert wurde, ist die Erwähnung der Ketten in den Statuten der Schützengesellschaften ein weitaus selteneres Phänomen. Nichtreglementierte Handlungspraxis der Schützenkette einerseits und Normierungen des Miteinanders durch eigene Statuten andererseits sind entsprechend maßgebliche Beispiele konventionalisierten Verhaltens, welches durch das Artefakt Schützenkette besonderen Widerhall erfährt.

Diese kann sich aus diversen Einzelteilen zusammensetzen; den einzelnen Gliedern der Kette, die als Hauptträger mit weiteren silbernen Anhängern versehen werden konnten, wie einem Anhänger mit der Darstellung des Patrons, einem silbernen Vogel oder Papagei als Verweis auf den Vogelschuss und weitere Bruderschaftsschilde, Medaillen oder sog. Kovelzeichen (kleine silberne Anhänger mit der Darstellung des Patrons, die jeder Schütze zu tragen hatte).

Die Schützenkette wurde dem Gewinner des jährlichen Vogelschießens überreicht. Sie ist folglich keine Amtsinsignie, sondern eine Art Wanderpokal. Aufgrund der wechselnden Träger war sie ständigem materiellen und handwerklichen Wandel unterzogen.  Jährlich wurden die Glieder der Ketten entweder um neue Gravuren mit dem Namen des Siegers ergänzt oder es wurden gänzlich neue Schilde angefertigt, die an den Ketten befestigt wurden – andere Schilde wiederum wurden aufgrund ihres Gewichts, ihres Erhaltungszustandes oder aber ihrer Aktualität ausgesondert. Diese Einzelteile der Ketten, „Module“, spiegeln durch ihre wechselnde Zusammensetzung gesonderte soziale Handlungsrahmen wider und schaffen so dezidiert Platz für Veränderung. Die Schützenketten sind damit kontinuierlicher, aber auch selektiver Erinnerungs– und Sammlungsspeicher der Schützen, dessen Handhabung am stetig wachsenden Objekt selbst erfahrbar wird. Diese Dynamik deutet sowohl auf Neuerung als auch auf Persistenz im Hinblick auf den Ritus rund um das jährliche Vogelschießen.

Ziel meines Promotionsprojektes ist es, diese Dynamiken rund um Veränderbarkeit und Modularität im Rahmen einer Erfassung aller heute noch erhaltenen spätmittelalterlichen Ketten von 1450 bis 1550 mithilfe der Statuten zu rekonstruieren, um so Bedeutung und Funktion dieser bisher kaum erforschten Objektgruppe zu generieren.

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