Dr. Adrian Meyer: 'dem marchet ist diu werlt gelich'. Merkantiles Erzählen in der deutschsprachigen Literatur des 13. Jahrhunderts
Die Arbeit verfolgt das Ziel, altgermanistische Diskussionen zur ‚Ökonomie‘ in mittelhochdeutschen Erzähltexten durch die Fokussierung auf das ‚merkantile Erzählen‘ zu schärfen. ‚Ökonomie‘ ist besonders in der gabentheoretisch ausgerichteten Altgermanistik ein beliebter Gegen- und gleichzeitig Überbegriff für verschiedene soziale Tauschordnungen. Methodisch setze ich daher bei dem Ungleichgewicht an, dass Ökonomie, besonders in seiner disziplinären Differenzierung, einerseits einen neuzeitlichen Terminus darstellt und entsprechend in vormodernen Texten nicht in gleicher Weise verhandelt werden kann, für Analysen jedoch andererseits allzu häufig als strukturelle Größe herhalten muss. Besonders deutlich wird dies anhand der Charakterisierung verschiedener ‚Ökonomien‘ durch Pierre Bourdieu, die so nur aufgrund eines strukturellen, überinklusiven Ökonomiebegriffes formuliert werden können. Anstatt ‚Ökonomie‘ also strukturell bestimmen zu wollen, nutze ich die historisierende Perspektive der économie des conventions und der symbolischen Kommunikation, um einen beschreibbaren Praxisbereich herauszuarbeiten, der nicht an abstrakten Begriffe wie Ökonomie oder Wirtschaft festgemacht werden muss, sondern auf den konkreten Markt bezogen bleibt. Dadurch kann eine praxeologische Beschreibung merkantiler Konventionen konturiert werden, die sich nicht an einem anachronistischen ‚ökonomischen Prinzip‘ der Gewinnmaximierung abarbeiten muss. Diese Beschreibung des Marktes aus den ihn konstituierenden Konventionen und Institutionen heraus soll den Blick auf Handlungsstrukturen öffnen, die vielmehr auf Wertbestätigung abzielen, als einem modernen Bereicherungsgedanken zu folgen.
Ausgehend von dieser im weitesten Sinne ideengeschichtlichen Historisierung widme ich mich der mittelhochdeutschen Erzählliteratur auf zweierlei Weise: Zuerst erfolgt eine Diskussion einzelner Lexeme, denen eine ‚ökonomische‘ (Teil-)Bedeutung zugemessen werden kann, um zu differenzieren, inwieweit diese Bedeutung auch dem engeren Rahmen des Merkantilen entspricht. Dabei sind besonders Fragen der historischen Semantik und der historischen Metaphorologie von Interesse, da das Fehlen eines ökonomischen Diskurses in der europäischen Vormoderne eine entsprechende Terminologisierung des Wortschatzes erschwert. Als Verbindung von historischer Diskurs- und Metapherntheorie versteht sich dieser Teil der Arbeit nicht nur als Stellensammlung merkantiler Begriffe, sondern auch als theoretische Arbeit an der Schnittstelle dieser beiden großen Felder.
Den Kern der Arbeit bilden jedoch Analysen einzelner Erzähltexte aus dem 13. Jahrhundert. Drei bîspel des Strickers (Der Krämer, Der Marktdieb, Die Zwei Märkte), Der Pfaffe Amis, die Josefsgeschichte in der Weltchronik des Johans von Wien, Flore und Blanscheflur, Der guote Gêrhart sowie das Märe Die Rittertreue werden bezüglich merkantiler Formen und Logiken in ihrem narrativen Aufbau untersucht. Die zumeist narratologisch ausgerichteten Analysen fokussieren dabei besonders die Verschränkung merkantiler Handlungspraktiken einerseits und konventionalisierter Erzähl- und Darstellungsmuster non-merkantiler Provenienz andererseits. In diesem Sinne steht gerade die handlungslogische Hybridisierung des Merkantilen durch erzählerische Überformung im Mittelpunkt der Arbeit. Das Praxisfeld des Marktes kann dabei je nach verhandeltem Erzählgehalt unterschiedlich mit ausgeprägteren Diskursen in Verbindung treten und somit beispielsweise höfische Werte validieren, das Verhältnis Gottes zum Menschen symbolisieren sowie die im Prozess des Wiegens sichtbar werdende Äquivalenz zweier Objekte rhetorisch nutzbar machen. In den Erzähltexten wird das Verhältnis von Markt und Metaphorik immer wieder beleuchtet, steht doch mit dem Markt als Ort sicht- und greifbarer ‚Gegenwerthaftigkeit‘ eine Art Repositorium enormer Bildlichkeit zur Verfügung, um weniger anschauliche Wertvorstellungen greifbar zu machen.