Dynamische Konventionen der Macht? Über Aufkommen, Form und Funktion königlicher Stellvertretung im 11. und 12. Jahrhundert.
Meine Dissertation beschäftigt sich mit königlichen Kanzlern der Salier- und Stauferzeit, die trotz hochmittelalterlicher Tendenzen zur Konsensualen Herrschaft (Bernd Schneidmüller) königsgleiche Macht aufbauen und anschließend in beinahe autokratischer Weise nutzen konnten. Der Ursprung dieser im 11. Jh. neuen politischen Typen scheint dabei in der dynamisierten Ordnungskonfiguration des Hochmittelalters zu suchen zu sein, denn im 11. u. 12. Jh. kam es trotz oder vlt. gerade wegen des konsensualen Trends unter den Fürsten auch zu zentralisierenden Gegenmaßnahmen, deren Ziel es war, die Königsmacht zu stärken und die Macht der Fürsten einzuschränken. Gerade hierfür benötigte man durchsetzungsfähiges Verwaltungspersonal, wobei man sich strukturell an der päpstlichen Kanzlei orientiert zu haben scheint. Dass die Etablierung solch machtvoller „grauer Eminenzen“ aber nicht immer auch zum Vorteil des Herrschers sein konnte, zeigen mindestens die Fälle Adalbero von Hamburg-Bremen, Anno von Köln und Adalbert von Mainz, deren Macht in so großem Maße und in so kurzer Zeit anstieg, dass Heinrich IV. wie auch sein Sohn Heinrich V. sie möglichst schnell (mit unterschiedlichem Erfolg) wieder beseitigt sehen wollten. Charakteristischerweise stammten diese Kanzler dann auch nicht aus der herrschenden Elite, sondern waren überdurchschnittlich gebildete „Manager“, die als Newcomer ihrer Zeit durch einen Karriereweg (zumeist in Stiften und Reichskanzlei) in ihre Position gelangt waren; persönliche Netzwerke und Fähigkeiten spielten für sie notgedrungen eine viel stärkere Rolle als für die etablierte Elite, denn auf tragfähige verwandtschaftliche Beziehungen konnten sie zumeist nicht zurückgreifen.
Meine Dissertation setzt sich zum Ziel, Aufkommen, Handlungsformen und Funktion solcher königlicher Stellvertreter vor dem Hintergrund des stetigen politischen Wandels des Hochmittelalters identifizierbar und im großen Trend der Zeit (der dieser Machtballung bei einzelnen Akteuren eigentlich entgegen steht) erklärbar zu machen. Dadurch soll nicht nur ein Beitrag geleistet werden zum besseren Verständnis des führenden Personals der Reichskanzlei, das stets in ganz besonderer Verbindung zum Herrscher stand und deren Untersuchung bis heute ein Desiderat der Forschung darstellt, sondern auch weitergearbeitet werden an Konzepten der politischen Handlungstheorie, die aufgrund ihrer zumeist aktiven Prozesse der Agreement-Findung gerade in den Momenten eine Erklärung nicht mehr liefern können, an denen die „Spielregeln der Politik“ (Gerd Althoff) scheitern, bzw. an denen im „großen Trend“ des Konsenses einzelne Akteure kurzzeitig die Fäden wieder in der Hand hielten.
Zur Untersuchung dieser „Lücken im Trend“ bietet sich dabei das Konzept dynamischer Konventionalitäten an, handelt es sich doch bei Konventionen nicht nur um mündlich getroffene Übereinkünfte in Gilden, Städten oder Gemeinschaften, sondern v.a. auch um unbewusste Gewohnheiten des Sprechens, Denkens, Handelns und Darstellens, die durch stetige Koordination von Handlungserwartung und beobachtbarem Handlungsergebnis zu geänderten Gleichgewichten dieser Konventionen führen können. Welche strukturellen Voraussetzungen der Zeit den neuen Typus eines königlichen Stellvertreter in der Mitte des 11. Jahrhunderts also ermöglichte, welche neuen Handlungsmodalitäten sie besaßen, wie sie mit dem immer notwendiger werdenden Konsens der Großen umgingen und diesen teilweise dennoch überwanden, wie sie in der Vorstellung der Zeit wahrgenommen und selbst zum diskursiven Mittel wurden, besonders aber, wie sie sich als Typus bis zum Ende des 12. Jahrhunderts bewahrten und erneuerten, soll meine Dissertation zu lösen versuchen. Dazu werden 1) strukturelle Komponenten der Reichskanzlei und Lebenswege 2) Handlungen und ihre Modalitäten sowie 3) die Vorstellungen der Zeit untersucht. Dadurch könnten letztendlich nicht nur maßgeblich Konzepte des politischen Handelns in Frage gestellt, sondern auch neu überlegt werden, ob eine politische Entscheidung immer im Konsens der Fürsten und in letzter Instanz durch den König getroffen worden ist. Meine Arbeit beschäftigt sich zusammengefasst also mit dem großen Trend, dem kleinen Sachzwang und dem handelnden Individuum, kurz mit den Lücken konsensualer Praktiken, in denen Vertreter der Reichskanzlei sich deutlich aus der Gemeinschaft der Fürsten abheben konnten und „königsgleich“ zu agieren begannen.